Die Stellungnahme des Bayer. Gesundheitsministeriums aus juristischer Sicht

Die hpO hat zwei Juristen gebeten, die an die hpO ergangene Stellungnahme des Bayer. Gesundheitsministeriums zu erläutern. Die befragten Juristen sind die Fachanwältin für Medizinrecht, Frau Dr. Birgit Schröder, Beraterin der hpO in medizinrechtlichen Fragen, aus Hamburg, und Dr. Peter Ellefret, Anwalt für Vereinsrecht und Recht der Medizinalfachberufe sowie Justiziar der hpO, aus Frankfurt.
 
Frau Dr. Schröder, Herr Dr. Ellefret, das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat der hpO am 24.02. eine schriftliche Stellungnahme zur Ausübung der Osteopathie durch Physiotherapeuten zugesandt. Wir haben auf unserer Homepage ausführlich daraus zitiert. Ihnen liegt diese Stellungnahme vor, wie lässt sie sich inhaltlich zusammenfassen?
 
RA Schröder: Die Ausübung der Osteopathie durch einen Physiotherapeuten setzt eine allgemeine Heilpraktikererlaubnis voraus – eine sektorale reicht nicht aus.
 
RA Ellefret: Zahlreiche Stellungnahmen und Vorgaben im Bereich der Medizinalfachberufe „kranken“ daran, dass sie nicht eindeutig sind und daher dem Berufsangehörigen im Ergebnis keine Rechtssicherheit vermitteln.
Ganz anders nun das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Die Frage nach der inhaltlichen Zusammenfassung beantwortet die Stellungnahme schon selbst im ersten Satz: „Keine Ausübung der Osteopathie ohne allgemeine Heilpraktikererlaubnis“. Deutlicher kann man es nicht ausdrücken. Die Begründung überzeugt, insbesondere dahin, dass die Grundgedanken des angegebenen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2009 auf die Osteopathie nicht übertragbar sind.
 
Deckt sich die Stellungnahme inhaltlich mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. September letzten Jahres?
 
RA Ellefret: Ja, sowohl Judikative als auch Exekutive liegen hier auf einer Linie. Bei den gesetzlich geregelten Medizinalfachberufen gilt, dass diese (nur) auf ärztliche Anordnung praktiziert werden dürfen, selbst wenn damit die Ausübung der Heilkunde verbunden ist. Anders bei der Osteopathie. Für diese fehlt es derzeit an einer gesetzlichen Grundlage und – eine ganz entscheidende Erkenntnis – sie ist auch nicht Bestandteil der Physiotherapie, sondern ein aliud (lat.: alius; etwas anderes). Selbst eine vorangegangene ärztliche Untersuchung und Diagnose ändert daher für eine osteopathische Behandlung nichts an der Grundaussage des Heilpraktikergesetzes: Die Ausübung der Heilkunde ist den Ärzten und Vollheilpraktikern vorbehalten.
 
RA Schröder: Ein Urteil ist immer eine Einzelfallentscheidung. Diese Stellungnahme geht über den Einzelfall hinaus und hat meines Erachtens bundesweite Bedeutung.
 
Die Stellungnahme geht auf ein weitestgehend gleiches Schreiben des Ministeriums vom 4. Januar zurück, dass an die bayerischen Bezirksregierungen verschickt und von diesen an die Landratsämter und damit den diesen unterstellten Gesundheitsämtern weitergeleitet wurde. Hat ein ministeriales Schreiben an die Bezirksregierungen lediglich informativen Charakter?
 
RA Schröder: Physiotherapeuten drohen in Zukunft erheblich mehr Kontrollen in den Praxen.
 
Osteopathen und auch Heilpraktiker sehen den Körper als eine Einheit. Diese Überzeugung macht eine kleinteilige Betrachtung bzw. eine Aufspaltung in verschiedene Unterbereiche schwierig und zerstört das Ganze.
So stellt eine Unterteilung in verschiedene Unterarten „parietale, viszeral und kraniosakral“ eigentlich einen „Verstoß“ dar. Physiotherapeuten hingegen widmen sich lediglich den „körperlichen Beschwerden“, sodass aus deren Sicht eine Unterteilung sehr gut möglich ist, da nur die parietale Osteopathie angewandt werden soll. Nur der parietale Sektor, also Bindegewebe, Muskulatur und Gelenke, werden mit in die Behandlung eingeschlossen.
 
Das stellt sich aber jedoch gerade aus juristischer Sicht durchaus problematisch dar, denn das rechtliche „Dürfen“ und das tatsächliche „Tun“ der Physiotherapeuten mit sektoraler Heilpraktikererlaubnis weisen große Differenzen auf. Denn oft sind die Grenzen doch nicht so genau zu differenzieren. Doch gerade dies ist aufgrund der körperlichen Einheit auch nicht möglich. Demnach kann den Physiotherapeuten mit sektoraler Heilpraktikererlaubnis aus rechtlicher Sicht nur geraten werden in Zukunft, solange es keine neue Regelung gibt, nicht osteopathisch tätig zu werden.
Physiotherapeuten dürfen trotz sektoraler Heilpraktikererlaubnis nur noch Physiotherapie anwenden und nicht mehr Osteopathie. Es drohen große haftungs- und abrechnungsrechtliche Problematiken, die sich aktuell bereits abzeichnen.
Auch die Krankenkassen werden sich neu positionieren müssen, wenn es um ihre Erstattungspraxis geht. Langfristig werden sie nicht mehr etwas bezahlen, was von Behandlern ausgeübt wird, die das rechtlich nicht dürfen.
Nur wer über die allgemeine Heilpraktikererlaubnis verfügt, bei dem fallen „rechtliches Dürfen und tatsächliches Tun“ zusammen. Nur diese dürfen osteopatisch tätig sein.
 
RA Ellefret: Das Schreiben hat nicht die Wirkung eines formellen Gesetzes. Es ist mehr als eine Art Stellungnahme einer obersten Landesbehörde für die nachgeordneten Dienststellen zu verstehen, wie dort die Rechtslage für einen bestimmten Problemkreis gesehen wird. In der täglichen Praxis werden solche Schreiben beim Vollzug von den zuständigen Behörden überwiegend beachtet.
 
Welche Folgen hat das Schreiben für osteopathisch tätige Physiotherapeuten, die noch keine Heilerlaubnis besitzen, in Bayern und ggf. deutschlandweit?  
 
RA Ellefret: Jedenfalls die bayerischen Physiotherapeuten müssen sich darauf einstellen, dass die zuständigen Gesundheitsbehörden die Praxen vermehrt darauf hin überprüfen, ob dort (auch) osteopathische Methoden Anwendung finden. Wird dies bejaht, wird sich der Praxisinhaber die Frage nach dem Vorliegen einer allgemeinen Heilpraktikererlaubnis gefallen lassen müssen. Fehlt diese, ist mit einem Einschreiten der Behörden, in welcher Form auch immer, zu rechnen. Das letzte Wort ist damit freilich noch nicht gesprochen. Solche Verwaltungsakte sind gerichtlich überprüfbar. Dies sollte jedoch nicht als Freibrief für alle Physiotherapeuten verstanden werden, weiterhin ohne Vollheilpraktikererlaubnis osteopathisch zu behandeln. Der Gerichtsweg ist lang und steinig. Ist der klagende Physiotherapeut am Ende nur der zweite Sieger im Prozess, hat er möglicherweise zu viel aufs Spiel gesetzt.
 
Inwieweit die bayerische Sichtweise Ausstrahlungswirkung auf andere Bundesländer hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Soweit mir bekannt, gibt es turnusmäßige Zusammenkünfte der Referatsleiter aller Bundeländer pro Fachbereich, deren Zweck es unter anderem ist, eine möglichst bundeseinheitliche Rechtsanwendung in einzelnen Fragen zu erreichen.
 
RA Schröder: Aus rechtlicher Sicht stellt die Auffassung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auch einen Denkanstoß dar, sowohl die Ausbildung der Osteopathen als auch die der Heilpraktiker neu zu gestalten und zu vereinheitlichen. So scheint es durchaus sinnvoll, die zurzeit noch nicht geregelte „Ausbildung“ der Heilpraktiker derartig zu verändern, dass es zu keinen berufsbildübergreifenden Konflikten mehr kommen kann.
Es wird zu Recht schon länger eine bundeseinheitliche Regelung einer staatlichen Ausbildung angeregt. Mit staatlichen anerkannten, bundeseinheitlichen Abschlüssen könnten sowohl rechtliche als auch tatsächliche Problematiken gelöst werden.
 
Fazit: Alles in allem stellt die Stellungnahme des Ministeriums eine sehr starke Einschränkung der Physiotherapeuten mit sektoraler Heilpraktikererlaubnis dar, denn es wird ihnen rechtlich nicht mehr möglich sein, Patienten osteopathisch zu behandeln.
 
Das wird sicherlich erhebliche Einnahmeverluste zur Folge haben.
 
Im November letzten Jahres hatte ein bayerisches Landratsamt eine Stellungnahme abgegeben, wonach „ein Physiotherapeut Techniken der Osteopathie, die mit Techniken der Physiotherapie identisch sind, auf ärztliche Verordnung durchführen darf.“ Wir haben auf unserer Website kürzlich darüber berichtet.
Diese Aussage des Landratsamts vom November 2015 steht im Widerspruch zur Stellungnahme des Gesundheitsministeriums vom Januar 2016. Wer hat nun Recht?

 
RA Schröder: Die Frage ist vermutlich weniger, wer Recht hat, sondern was die Zukunft bringt.
Die Argumentation des aktuellen Urteils und der aktuellen Stellungnahme sind logisch und nachvollziehbar – auch wenn sie natürlich dramatische Folgen für die sektoralen Heilpraktiker bedeutet.
Letztlich ist es aber aus meiner Sicht konsequent: Wer Osteopathie als Einheit begreift, kann mit einer künstlichen Aufspaltung in verschiedene Bereiche nicht punkten. Wer anerkennt, dass die Ausübung der Heilkunde allein Ärzten und Heilpraktikern vorbehalten ist, dem wird sich die Argumentation erschließen.  
Osteopathie ist mehr als Physiotherapie – daher ist für deren Anwendung am Patienten die allgemeine Heilpraktikererlaubnis erforderlich.
Wer osteopathisch behandeln will – mit oder ohne ärztliche Verordnung – braucht die Heilkundeerlaubnis.
 
RA Ellefret: Zur Entscheidung darüber, wer in bestimmten Fragen Recht hat oder nicht, sind in letzter Konsequenz die Gerichte berufen, denen man nicht vorgreifen sollte. Wer argumentieren wollte, die Stellungnahme des Gesundheitsministeriums von Januar 2016 sei die jüngere und zudem ranghöhere, macht es sich zu einfach. Es gibt einige objektive Anhaltspunkte, die mehr für die Sichtweise des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege sprechen, so die fehlenden gesetzlichen Grundlagen der Osteopathie oder auch die Tatsache, dass osteopathische Methoden als solche nicht Gegenstand einer gesetzlich geregelten Ausbildung mit Prüfung sind, insbesondere auch nicht nach dem Physiotherapeutengesetz. Im Übrigen belegt die Stellungnahme des bayerischen Landratsamts meine eingangs aufgestellte These, dass so manche behördliche Aussage sich schön anhören mag, den Berufsangehörigen in der täglichen Praxis aber nicht weiterhelfen. Was sind denn „Techniken der Osteopathie, die mit Techniken der Physiotherapie identisch sind“? Wo genau verläuft die Grenze, die bei überspitzter Betrachtung letztlich zwischen berufskonformem und berufsrechtswidrigem Verhalten mit allen aus letzterem resultierenden Konsequenzen entscheiden würde?
 
Das OLG-Urteil stellt formal eine Einzelfallentscheidung dar, die Stellungnahme des bayerischen Gesundheitsministeriums ist auch die Meinung nur eines Landesministeriums. Welche Tragweite hat oder kann diese Stellungnahme bundesweit haben?
 
RA Ellefret: Das Heilpraktikergesetz, und darum geht es im Ergebnis, ist ein Bundesgesetz. Von daher wäre eine bundeseinheitliche behördliche Umsetzung erstrebenswert. Ob und wann dies für den vorliegenden Problemkreis erreicht sein wird, wird die Zukunft zeigen. Wenn es aber schon einmal ein Urteil und eine Stellungnahme einer obersten Landesbehörde aus unterschiedlichen Bundesländern gibt, die zudem zu einem bestimmten Fragenkreis eine einheitliche Linie vertreten, ist dies ein gewichtiges Indiz bei der Bewertung einer bestimmten Rechtslage auch für andere Entscheidungsträger.
 
RA Schröder: Es ist zu erwarten, dass andere Bundesländer in ähnlicher Weise Stellung nehmen werden. Das bedeutet, dass man letztlich eine bundeseinheitliche Regelung braucht: Föderale Unterschiede sollten in diesem Bereich keine einheitliche Auslegung und Anwendung der Normen verhindern.
Das aktuelle Urteil und diese Stellungnahme sind aber auch als Chance zu begreifen, bundeseinheitliche Ausbildungsstandards zu erarbeiten.
Langfristig wird der sektorale Heilpraktiker an Bedeutung verlieren und der sog. Große korrespondierend an Bedeutung gewinnen.

Frau Dr. Schröder, Herr Dr. Ellefret, vielen Dank für das Interview!