Der eigenständige Heilberuf Osteopath: Welche Bereiche würden künftig zur Osteopathie zählen?

Seit geraumer Zeit wird der eigenständige Heilberuf Osteopath lautstark gefordert, aber nicht darüber diskutiert, welche Folgen ein solcher neuer Heilberuf hätte. Wir stellen deshalb auch diese Woche einen spezifischen Aspekt vor, den ein eigenständiger Heilberuf Osteopath mit sich brächte. Damit wollen wir zu einer Diskussion beitragen, die aus unserer Sicht die Forderung nach dem Beruf Osteopath dringend benötigt.
 
Unser Thema diese Woche: Welche Bereiche würden bei einem eigenen Berufsgesetz noch zur Osteopathie zählen?
 
Der Beruf des Osteopathen sieht idealerweise wie folgt aus:
Der Osteopath arbeitet im Primärkontakt, er wird also von Patienten aufgesucht, die vorher nicht beim Arzt oder Heilpraktiker waren. Er führt selbst Diagnosen durch und stützt sich, soweit notwendig, auf bildgebende Verfahren und/oder Laborwerte.
Der Osteopath verschreibt keine Medikamente und führt keine invasiven Eingriffe durch, doch kann er über die parietale, vizerale und kraniale Osteopathie nahezu alle medizinischen Bereiche abdecken. Dort, wo er mit seiner manuellen Heilkunde nicht weiterhelfen kann, schickt der Osteopath seine Patienten an Fachärzte, Heilpraktiker oder andere Therapeuten weiter.
Der Osteopath rechnet mit seinen Patienten zu einem festen Behandlungssatz ab, über dessen Höhe er selbst bestimmt. Seine Ausbildung ist durch ein Berufsgesetz geregelt, seine Berufsbezeichnung als Osteopath durch das Gesetz geschützt.    
 
Wie realistisch ist dieses Szenario?
Stellen wir eine Gegenfrage: Was haben Osteopathie und Osteopath zu bieten, was die Schaffung eines eigenen Heilberufs, wie oben beschrieben, rechtfertigen würde?
 

  • Ausbildungsinhalte: Die osteopathische Ausbildung bereitet in einigen Bereichen nicht ausreichend auf den Primärkontakt mit Patienten vor. So fehlen die für den Primärkontakt notwendigen Kenntnisse, um Infektionen zu erkennen, zu verhüten und deren Weiterverbreitung zu verhindern, ebenso wie Kenntnisse über das Meldewesen von Infektionskrankheiten (IfSG). Auch zählen Hygieneschulung inklusive dem Erlernen der landesspezifischen Hygienevorordnungen üblicherweise nicht zur osteopathischen Ausbildung, was aber für den Primärkontakt wesentlich wäre. Fraglich ist, ob die Fachbereiche Immunologie und Onkologie ausreichend in den Ausbildungen integriert sind, um Erkrankungen zu erkennen. Auch wäre zu diskutieren, in wieweit die in der Ausbildung erlernte Differenzialdiagnose für den Primärkontakt mit Patienten ausreichend ist, für die Erfordernisse bei der Heilpraktikerüberprüfung reicht sie in der Regel jedenfalls nicht aus. 
     
  • Wirksamkeit: Die Wirksamkeit der Osteopathie lässt sich nach Überzeugung deutscher Gerichte nicht wissenschaftlich belegen. Auch deshalb werden Wirkhinweise zur Osteopathie und Indikationen auf Praxiswebsites osteopathisch tätiger Therapeuten immer wieder abgemahnt.

  • Abgrenzbarkeit: Als ein Verfahren, dass den ganzen Organismus diagnostizieren und behandeln kann, deckt die Osteopathie zahlreiche medizinische Fachbereiche ab, von der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, über die Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Orthopädie, Inneren Medizin, bis hin zur Kinder- und Jugendmedizin, der Urologie und der Geriatrie. Dieser Vorzug der Osteopathie wird aber zu einem Nachteil, wenn es darum geht, die Osteopathie berufsrechtlich zu definieren. Verweise auf die eigene Philosophie und den ganzheitlichen Ansatz werden dann nicht genügen. Warum sollte der Gesetzgeber einen weiteren Heilberuf schaffen, der fachlich weitestgehend die gleichen Bereiche abdeckt, wie die klassische Medizin, dessen Wirksamkeit aber wissenschaftlich nicht belegt ist?

 
Ist unter diesen Voraussetzungen ein eigener Heilberuf, wie im Szenario eingangs beschrieben, tatsächlich denkbar? Insbesondere, wenn nicht klar ist, für wie viele Therapeuten ein solches Berufsgesetz gelten sollte, dieses aber möglichst viele Therapeuten „auffangen“ müsste, damit diese nicht im rechtsfreien Raum verbleiben?
 
Die Antwort lautet sachlich und frei von jeglicher Polemik: Nein.
Sollte ein eigenes Berufsgesetz kommen, dann nur, wenn es wesentliche Bereiche der Osteopathie außen vor lässt.
So könnte ein Berufsgesetz den Primärkontakt verhindern und die Diagnose dem Arzt und Heilpraktiker übertragen. Der Osteopath dürfte dann gemäß Berufsgesetz keine eigene Diagnose betreiben, sondern nur auf Verordnung hin arbeiten.
Fraglich wäre zudem, ob dann nicht auch jene Bereiche herausfallen würden, die eindeutig der Heilkunde zuzurechnen sind, wie etwa Manipulationen, also der ganze Bereich der Chiropraktik.
Wie Osteopathie beschnitten werden kann, zeigt das Beispiel Frankreich – wir berichteten letzte Woche darüber: Hier wird für die Behandlung von Kindern unter sechs Monaten und für die Behandlung der Halswirbelsäule eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung benötigt.
 
In Deutschland könnte ein eigenes Berufsgesetz dem Gutachten der Bundesärztekammer aus 2009 folgen und alle nicht wissenschaftlich belegten Bereiche außen vorlassen. Mit dem Wegfall der viszeralen und craniosakralen Bereiche könnten alle gegenwärtig bestehenden Ausbildungen (ab 372 UE) dessen Bedingungen erfüllen und wären alle weitestgehend osteopathisch arbeitenden Therapeuten rechtsicher aufgefangen.
Damit würde ein solches Berufsgesetz allerdings eine verkümmerte und stark beschnittene Osteopathie legitimieren, die ihrem Namen nicht mehr gerecht würde.
  
Das sind einige Denkanstöße, über die es sich lohnt, nachzudenken und zu diskutieren, wenn man den eigenständigen Heilberuf Osteopath fordert.
 
Diskutieren Sie gern mit uns: contact@hpo-osteopathie.de
  
Unser Thema kommende Woche: Der sozialverträgliche Beruf.