Fortbildungen in Kinderosteopathie: Interview mit Dorothea Metcalfe-Wiegand

Dorothea, du bist seit über 15 Jahren in der Weiterbildung in Kinderosteopathie tätig und bietest dies nun seit einigen Jahren in deinem Osteopathie-Institut Frankfurt an. Warum braucht es eine eigene Osteopathie für die Diagnose und Behandlung von Kindern?
Nun, zunächst einmal ist der Säugling und auch das junge Kind einfach kein kleiner Erwachsener d.h. rein anatomisch gibt es ganz signifikante Unterschiede und um die muss natürlich ein Osteopath wissen, wenn er sich an einen Säugling bzw. ein Kind annähert. Wir finden diese Unterschiede auch auf der neurobiologischen Ebene. Der junge Säugling ist noch ganz nah an seiner embryologischen Entwicklung. Viele seiner Strukturen, vor allen Dingen das Nervensystem, sind ja noch gar nicht vollständig ausgereift.
 
Das bedeutet also, dass es auf der einen Seite darum geht, spezifische Techniken zu erlernen, die für die speziellen Probleme des Säuglings besonders angemessen sind.
Auf der anderen Seite, und das erscheint mir mindestens ebenso wichtig, geht es um die innere Haltung mit der wir einem Kind begegnen. Einen Erwachsenen können wir ja vielleicht noch in irgendeiner Form mit einer „Technik“ behandeln. Dies geht beim Kind nicht! Ein Kind fordert uns immer ganz. Es will als Ganzes gehört werden. Das erfordert, dass wir uns ihm auf einer Herzensebene öffnen. Und das ist ein riesiger Schritt. Denn da müssen wir auf einmal all unser Gelerntes und unsere Konzepte zur Seite legen, um uns ganz diesem einmaligen Moment der Begegnung zu öffnen. Und so wird die palpatorische Annäherung an das Kind eine Qualität erhalten, die zunächst ganz auf das Hören und Lauschen ausgerichtet sein wird.
 
In einer Kinderausbildung müssen zudem die wichtigsten funktionellen Störungen und Krankheitsbilder des Säuglings und des Kindes gesehen werden, sowie die dazugehörigen osteopathischen Therapieansätze. Dazu gehören die Untersuchungsmethoden zum Erkennen von Verdachtsmomenten sowie die spezielle osteopathische Untersuchung des Kindes, das Erkennen osteopathischer Grenzen und die Einbeziehung anderer therapeutischer Maßnahmen. Wir dürfen der Entwicklung eines Kindes nie im Wege stehen!
 
Ein weiterer ganz wichtiger Aspekt betrifft auch die psycho-emotionale Situation des Kindes. Dazu müssen wir die Reaktionen des Kindes „lesen“ lernen. Das „Erleben“ der Schwangerschaft, das Ereignis der Geburt, die pränatale Situation, die Themen des Bondings – all dies hat große Auswirkungen auf das junge sich entwickelnde Nervensystem. Wir dürfen nie das Kind getrennt von seinen Eltern und seiner psychosozialen Situation sehen. Hier gilt es auch die Eltern mit ins Boot zu bekommen, sie in ihren Kompetenzen zu stützen und zu stärken.
 
Deine Kursreihe „Osteopathie bei Kindern“ setzt sich aus fünf Teilen zusammen, die du zweimal jährlich anbietest. Wozu soll deine Kursreihe fachlich befähigen?
Wenn ich mir überlege was die Absolventen meiner Kurse können sollen, dann nenne ich das immer die „Hardware“ und die „Software“.
 
Ganz allgemein sollen die Kollegen befähigt werden, funktionelle Ursachen einer Symptomatik von Verdachtsmomenten auf eine strukturelle Störung zu unterscheiden. Innerhalb der osteopathische Behandlung soll erlernt werden, auf der Grundlagen von Embryologie und kindlicher spezifischer Anatomie eine ganzheitliche, den kindlichen Bedürfnissen angepasste Behandlung durchzuführen. Sie sollen in die Lage versetzt werden, aus einer ganzen Bandbreite möglicher osteopathische Techniken, die für dieses Kind in dieser Situation Passende einzusetzen.
Aber, und das möchte ich hier noch einmal ganz ausdrücklich betonen: die besten osteopathischen Kenntnisse und auch die tollste Technik hilft nichts, wenn wir nicht lernen, uns auf das Kind einzustimmen, mit ihm auf Augenhöhe gehen, wie klein es auch ist; wahrzunehmen, wo es sich mit seinem kleinen Nervensystem gerade befindet und was es benötigt, um in seine Kraft zu kommen.
 
In der Kinderosteopathie ist es wie in der Osteopathie auch, es gibt keine einheitlich geregelte Weiterbildung. Was sollte deiner Meinung eine fundierten Weiterbildung in Kinderosteopathie beinhalten und wie umfangreich sollte sie daher sein?
Momentan beinhaltet die im Rahmen meines Instituts angebotene Ausbildung zwölf Tage, während derer osteopathische Themen unterrichtet werden, sowie drei Tage Untersuchung und Diagnostik. Meiner Erfahrung nach kann dies nur ein absolutes Grund-Rüstzeug für einen Kinder-Osteopathen darstellen. Nicht nur das Themengebiet ist ja riesig, für die Entwicklung der spezifischen Weise sich an Kinder anzunähern, benötigt es auch einfach Zeit und Übung, Übung, Übung!
 
Meiner Meinung nach wäre es sinnvoll für den Erhalt der Qualifikation des Kinder-Osteopathen Fortbildungspunkte einzuführen und dadurch eine fortlaufende Weiterqualifikation zu unterstützen. Außerdem kann die beste Fortbildung nicht ersetzen, was man erfährt, wenn man einem erfahrenen Kollegen bei seiner Arbeit über die Schulter schaut. Hospitationen sind für mich aus diesem Grund ebenfalls ein unerlässlicher Bestandteil der Ausbildung.
Ein Erste-Hilfe-Kurs für Kinder ist erforderlich, sollte aber nicht Bestandteil der osteopathischen Weiterbildung selbst sein, sondern separat angeboten werden.
 
Ein Kurs aus deiner Kursreihe hat Trauma und Neuroregulation zum Inhalt. Darin arbeitest du mit der Psychotherapeutin und Traumatherapeutin Dr. med. Szilvia Meggyesy zusammen. Warum sind Trauma und Neuroregulation so wichtige Themen in der Kinderosteopathie?
Wenn das Kind auf die Welt kommt, ist sein Nervensystem, vor allen Dingen sein vegetatives Nervensystem, noch nicht so ausgereift, dass das Kind sich selbst regulieren kann. Es benötigt zur Selbstregulation das stabile Nervensystem der Mutter. Wenn wir also das Neugeborene in seinen Anpassungsstörungen unterstützen wollen, ist es überaus hilfreich, die vegetative Erregungslage der (oftmals sehr erschöpften oder erregten) Mutter zu regulieren. Dazu gibt es im Bereich der körperorientierten Traumatherapien wunderbare Möglichkeiten, die hier unterrichtet werden.
Zum anderen kommt es durch das „Erleben“ der Schwangerschaft, das Ereignis der Geburt, die pränatale Situation, in manchen Fällen zu Erfahrungen von tiefstem Überwältigt sein des noch unreifen Nervensystems des Säuglings. Auch hier können Techniken aus den körperorientierten Traumatherapien sehr wirksam sein, um das Kind in seiner Regulationsfähigkeit zu unterstützen.
Häufig begegnen wir in der kinderosteopathischen Praxis auch Bindungs- und Beziehungsproblemen. Das Wissen um die psychoemotionaler Entwicklung von jungen Säugling bis zum Schulkind, hilft uns bei der Einschätzung dieser Aspekte.
Frau Dr. Meggyesy ist uns in diesem Kurs eine wunderbare Co-Dozentin und wir profitieren sehr von ihrem psychotherapeutischen und traumatherapeutischen Wissen und ihrer Erfahrung.
 
Dieses Themengebiet ist allerdings so groß, dass ich mich entschlossen habe, einen separaten zweiteiligen Kurs „Resonanz und Dialog – Trauma und Neuroregulation bei Kindern“ anzubieten. Darin werden wir am Umgang mit Operationen, Anästhesien, Unfällen und anderen Traumen beim älteren Kind arbeiten, sowie mit dem großen Themenkomplex des traumatischen Geburtserlebens beim Säugling.
 
Du bietest das gleiche Thema auch für die Behandlung erwachsener Patienten an. Dabei geht es auch um Techniken von „Resonanz und Dialog“. Was sind das für spezielle Techniken und wozu dienen sie?
Die Begegnung mit dem Somatic Experiencing® und meine Ausbildung zum Somatic Experiencing Practitioner® war für mich ein wichtiger Meilenstein in meiner Entwicklung als Osteopathin. Die Erfahrung, dass seelische Prozesse immer über den Körper prozessiert werden, war wie das fehlende Puzzelstück in dem, was einen ganzheitlicher Therapie Ansatz wirklich ganzheitlich macht. Es hat mir eine Sichtweise eröffnet, die über die reine Behandlung von Struktur und Funktion hinausgeht.
 
Dazu stellt uns die Polyvagal-Theorie von Steven Porges den neurobiologischen Hintergrund zur Verfügung und der Somatic Experiencing-Ansatz nach Peter Levine die entsprechenden neuroregulativen Techniken. Bei diesen handelt es sich auf der einen Seite um die Weise, wie Patienten über einen verbalen Dialog in die Neuroregulation geführt werden können. Auf der anderen Seite eröffnet uns dieser Ansatz weitere Möglichkeiten innerhalb einer osteopathischen Behandlung mit Aspekten von Erregung, Erstarrung, Kollaps (um nur einige zu nennen) in Kontakt zu treten und diese zu regulieren. Wenn wir uns mit unserer Präsenz, unseren Händen, Ohren, Augen und unserer Stimme dem System des Gegenübers öffnen und mit ihm in Resonanz gehen, können wir ihm ermöglichen, in seinem Körper festgehaltene Erregung sanft abzubauen.
Dies gilt besonders für jene Patienten die mit rezidivierenden oder auch chronischen Schmerzen zu uns in die Praxis kommen, aber auch solche mit Burn-Out Symptomatik oder Zustand nach Unfällen oder schwerwiegenden Operationen.
 
Wo und wie können sich Interessenten für deine Kurse anmelden und wo finden die Kurse statt?
Die Kursanmeldung erfolgt über die Website: www.osteopathie-institut-frankfurt.de, wo sich auch alle weiteren Informationen zu den Kursen befinden. Die Kurse finden in Oberursel bei Frankfurt statt.
 
Liebe Dorothea, vielen Dank für das Interview!