Im Gespräch mit Prof. Dr. Rainer Breul über Präparierkurse für Osteopathen

Im März, April und Juni bietet unser Kooperationspartner Prof. Dr. Rainer Breul wieder seine Präparierkurse für Osteopathen an der Anatomischen Anstalt in München an. Wir haben mit ihm über seine Präparierkurse gesprochen.
 
Rainer, du hast jahrzehntelang angehenden Medizinern Anatomie unterrichtet und zählst zu den ersten Schulmedizinern in Deutschland, die sich damals der Osteopathie geöffnet haben. Seitdem können Osteopathen bei dir Präparierkurse besuchen. Was hat dich damals dazu bewogen, dich der Osteopathie zu öffnen, die vor 30 Jahren noch ziemlich exotisch und unbekannt war?
Ja, so war es! Die ersten Kontakte zur Osteopathie ergaben sich mehr zufällig, als ich für Physiotherapeuten in München in der Anatomischen Anstalt fast monatlich Fortbildungsveranstaltungen zu ausgesuchten Themen der funktionellen Anatomie und Topographie des Bewegungsapparates, der Eingeweidesysteme, des Nervensystems etc. mit Präparate-Demonstrationen abhielt.
 
Unter den Teilnehmern waren u.a. Dozenten einer französischen Osteopathieschule, die sich kurz zuvor im München niedergelassen hatte. Wir kamen ins Gespräch, man machte mich mit der Grundidee der Osteopathie bekannt und fragte, ob ich bereit sei, Osteopathen in Anatomie zu unterrichten. Ich bat um einen Monat Bedenkzeit. In der Zwischenzeit nahm ich Kontakt zu Osteopathen und zu den Gründungsmitgliedern des VOD´s (u.a. Prof. M. Fuhrmann, Charlie Riedl) auf, um festzustellen, das seitens der Osteopathie und deren Vertreter ein elementares Interesse an der gesamten Anatomie als naturwissenschaftlich-medizinisches Grundlagenfach vorhanden ist.

Dieses berechtigte Interesse und die große Neugier nach solidem Wissen war für mich als Hochschullehrer für Anatomie ausschlaggebend, die Osteopathie mit meiner beruflichen Erfahrung und meinen Möglichkeiten wie Unterricht, Vorträgen und schließlich mit Präparierkursen zu unterstützen.
 
Über welche anatomischen Kenntnisse verfügen üblicherweise Osteopathen, die deine Präparierkurse besuchen und haben sich deren Kenntnisse in den Jahren verändert?
Bei all meinen Aktivitäten in der Fortbildung von Osteopathen habe ich mich immer für deren Wissensstand interessiert, um grundsätzliche Dinge aus der allgemeinen und speziellen Anatomie aus meiner Sicht und Erfahrung an Ort und Stelle zu korrigieren, wenn hierfür Bedarf besteht. Das Niveau der Kenntnisse kann dabei unterschiedlich sein, größtenteils solide und auf Unterricht und Lehrbuchwissen abgebaut. Dennoch fällt hin und wieder auf, dass einige prinzipielle und spezielle anatomische Fakten falsch vermittelt oder verstanden wurden.  

Viele meiner Kursteilnehmer betonen bei unseren obligaten Abschlussgesprächen am Ende eines jeden Kurses, dass ihr fachliches und/oder anatomisches Verständnis durch die eigenen Präparationen oftmals eine grundlegenden Veränderung erfahren habe. Als sehr hilfreich werden meine fortlaufenden Erklärungen zum jeweiligen Präparationsgebiet bewertet.
 
Hast du über die Osteopathie anatomische Strukturen entdecken oder in ihrer Funktion anders bewerten können, als du das selbst einmal erlernt hattest?
Diese Frage kann ich vorbehaltlos mit einem deutlichen Ja beantworten. Maßgeblich an diesem langen Prozess beteiligt war die Herangehensweise der Osteopathen an Strukturen unseres Körpers und sehr, sehr häufig deren neugierigen Fragestellungen zu Funktionen anatomischer Strukturen. Ich musste mir oft selbst Klarheit verschaffen, um bestimmte Strukturen in ihrer Funktion wirklich zu verstehen. Beispielhaft seien genannt die Durahüllen und -septen unseres ZNS als mechanisch effiziente Strukturen für Über- und Umleitungen von Kräften bei der Craniosacralen Osteopathie.  
 
Faszien sind in der Therapie und Forschung gerade sehr in Mode, für Osteopathen aber ein alter Hut. Hat die Osteopathie dein Verständnis von Faszien geändert?
Faszien sind beutel- oder schlauchförmige bindegewebige Hüllstrukturen, sie haben eine schützend-stabilisierende Funktion bei parenchymalen Organen, die sie mit einem inneren Stützgerüst versehen, wie z.B. die Leber. Oder wie z.B. einen Muskel, dessen einzelne Fasern sie umhüllen und so für deren Gleitfähigkeit sorgen.  Erst über Faszien können Muskeln, die punkt- oder flächenförmig an Knochen ansetzen, einen abgestuften Kraftvektor auf den Knochen überleiten. Und es sind Faszien, über die Organe mit entsprechenden Techniken von außen durch Zugüberleitung mechanisch erreichbar sind und dadurch bewegt werden können.
Insoweit hat die Osteopathie mein Verständnis gegenüber der größtenteils schulmedizinisch ausgerichteten Anatomie verändert und mir neue Einsichten gegeben!
 
Du bietest ab März drei Präparationskurse über Hals und Thorax, Abdomen und craniosakrales System an der anatomischen Anstalt der LMU in München an. Was macht für einen Osteopathen einen Präparierkurs so wertvoll?
Diese Kurse gehen in der Wissensvermittlung über das in Lehrbüchern und Atlanten Stehende hinaus. Sie sind so angelegt, dass ich in den aufeinander folgenden Präparierschritten topographische Gegebenheiten demonstrieren kann, die in der Beschreibung und bildlichen Darstellung schwer vermittelbar sind. Durch eigene Inspektion und Palpation kann der Kursteilnehmer sich ein dreidimensionales Bild schaffen. Als Beispiel sei genannt die Lage und Ausdehnung der Bursa omentalis.
 
Dein dritter Kurs, den du im Juni anbietest, lautet „Präparationen zur Topografie des craniosakralen Systems“. Was erwartet hier die Teilnehmer?
Es soll ein Verständnis für die anatomischen Grundlagen der Cranioscralen Osteopathie schrittweise erarbeitet werden, um die Wirkung von Manipulationen z.B. am Sacrum auf die Hüllstrukturen des ZNS und der intracariellen Septen durch Palpation nachvollziehen zu können.
So wird z.B. der N. ischiadicus zwischen der ischiocruralen Muskulatur freigelegt, um zu zeigen, dass an ihm durch tangentialen Zug eingebrachte Kräfte bis zur Glabella, der Sklera und an der Protuberantia occipitalis deutlich palpierbar sind.
 
Zum weiteren Verständnis wird der Rücken muskulär durchpräpariert bis in die tiefe Nackenregion wegen der dortigen kleinen Kopfgelenke und der dortigen Muskulatur (M. rectus capitis posterior major et minor, M. obiquus superior et inferior) und deren Bedeutung für unser postcraniales Gleichgewichtssystem.
Die Schädelkalotte wird eröffnet mit Darstellung der Dura, der Durasepten, Testung der Zugüberleitung durch Tangentialzug am Ischiadicus (siehen oben), an mehreren Stellen der Schädelbasis z. B. an der Crista galli und am Lig. petroclinoideum. Dieser Abschnitt wird begleitet von der schrittweisen Entfernung des Gehirns und dem in-Situ-Eröffnen des Ventrikelsystems.
 
Dieses ganze Präparation-Konzept ist nach vielen Gesprächen mit berufstätigen Osteopathen so modifiziert worden, dass praxisrelevante Fragestellungen im Vordergrund stehen. Es wird von den Kursteilnehmern als sehr ausgereift und einhellig als gewinnbringend für die praktische Tätigkeit bewertet.
 
Lieber Rainer, vielen Dank für das Interview.