Atemwegserkrankungen. Wie Osteopathie unterstützend helfen kann

Jedes Jahr schlägt die Grippewelle aufs Neue zu. In diesem Winter hat sie bis fast Ende April gewütet und war mit 313.000 erkrankten Menschen und 1095 an Influenza gestorbenen Patienten in Deutschland etwa doppelt so stark wie im Winter davor.
Zur alljährlichen Grippewelle gesellen sich in der kalten Jahreszeit noch Erkältung, Sinusitis, Bronchitis und diverse andere Atemwegserkrankungen hinzu, die immer mehr Menschen auch unabhängig von den Jahreszeiten chronisch betreffen.
Der Übergang von einer akuten zu einer chronischen Erkrankung (ab sechs Wochen) kann fließend verlaufen und eine chronische Atemwegserkrankung durch einen akuten Zustand ausgelöst werden.
 
Gehen Atemwegsprobleme mit Schmerzen einher oder dauern sie länger als drei Wochen an, sollten sie grundsätzlich ärztlich abgeklärt werden. Zudem ist zu beachten, dass Husten und Atemnot (Dyspnoe) auch für andere Erkrankungen symptomatisch sein zeigen können.
 
Die Osteopathie kann als eine eigenständige Form der Heilkunde begleitend zur Schulmedizin in vielen akuten und chronischen Fällen stabilisierend, verbessernd oder heilungsunterstützend auf den Zustand des Patienten einwirken.

Zwei Beispiele aus der Praxis, einmal für eine akute und einmal für eine chronische Atemwegserkrankung, zeigen auf, wie eine osteopathische Behandlung medizinische Maßnahmen unterstützen und die gesundheitliche Situation des Patienten verbessern kann.
 
Anatomie und Physiologie der Atemwege
Folgen wir dem Weg, den die Atemluft in unseren Körper nimmt: Er führt über Nase, Nasennebenhöhlen, Mund und Rachenraum in die Luftröhre. Etwa auf Höhe des zweiten Zwischenrippenraumes teilt sich diese in zwei Hauptbronchien (Bronchus principalis dexter und sinister), die jeweils in die rechte bzw. linke Lunge führen. Nach kurzem Verlauf verzweigen sich diese weiter: rechts in drei, links in zwei Lappenbronchien. Diese teilen sich wiederum in je zehn Segmentbronchien, die sich ihrerseits in immer feiner werdende Äste aufgliedern, bis hin zu den kleinsten Bronchien (Bronchiolen), deren Durchmesser weniger als 1 mm beträgt. An deren Ende sitzen die Alveolen (Lungenbläschen), insgesamt etwa 300 Mio. an der Zahl, in denen schließlich der lebenswichtige Gasaustausch stattfindet.
 
Bronchien und Lungen liegen im Mediastinum und werden dort durch viele stabilisierende Strukturen gehalten. Hierzu zählt die Pleura (Brustfell), die die Lungen umgibt. Ihr zweilagiger Aufbau verschafft den Lungen die notwendige Beweglichkeit beim Ein- und Ausatmen und für die Bewegungen des Oberkörpers. Gemeinsam mit der Trachea (Luftröhre) und den Hauptbronchien verankert sie die Lungen im Brustraum. Ihr oberer Anteil, die Pleurakuppel, ragt über den Oberrand der ersten Rippe und umgibt die Lungenspitze (Apex pulmonis) vollständig. Sie befindet sich ca. zwei Zentimeter oberhalb der Clavicula (Schlüsselbein). Außen wird sie von der Skalenusmuskulatur eingefasst und ist über bindegewebige Faserzüge mit dem tiefen Blatt der Halsfaszie verbunden, die in diesem Bereich gleichmäßig in die Fascia endothoracica des Brustkorbs übergeht. Ihre oberen Anteile sind im Bereich der Pleurakuppel verstärkt (Sibson-Faszie).
 
Die Pleura ist an mehren Stellen mit dem Sternum (Brustbein) und den sternocostalen Gelenken verbunden. Ihr unterer Anteil, die Pleura diaphragmatica, ist dagegen mit dem Zwerchfell verbunden. Als unser Hauptatemmuskel ist das Zwerchfell aber nicht nur für die aktive Einatmung zuständig: Aufgrund seiner Befestigung rechts und links der Wirbelsäule, seiner direkten Verbindung zur Leber durch die Area nuda und den vielen Organbändern, die am Zwerchfell selbst befestigt sind, sowie den Durchgängen des Lymphsystems, wirkt sich das Zwerchfell mit jedem Ein- und Ausatmen direkt auf die Wirbelsäule, alle inneren Organe, den Lymph- und den Blutfluss aus.
 
Sind die Atemwege durch eine akute oder chronische Erkrankung beeinträchtigt oder bleiben sie nach Überstehen einer Krankheit eingeschränkt, kann das z. B. zu Rückenschmerzen, Brust- und Rippenschmerzen, Einschränkungen in der Lymphabfuhr und gastrointestinalen Störungen führen.
 
Osteopathie
In der Osteopathie hat die Qualität der Atmung einen hohen Stellenwert. Die Lunge ist unser Sauerstofflieferant und ein wichtiges Entgiftungsorgan. Gesundheit und Beweglichkeit der Atemwege und damit eine gut funktionierende Atmung sind entscheidend für Kreislauf (Hämodynamik), Lymph- und Nervensystem. Zudem spielen die Atemwege eine wichtige Rolle im Zusammenspiel mit und ihrem Einfluss auf das Gesamtsystem und dessen Gleichgewicht (Homöostase).
 
Die Osteopathie ist eine eigenständige Form der Heilkunde. Diagnose und Therapie erfolgen mit den Händen, Instrumente, Medikamente und operative Eingriffe gibt es nicht. Auch werden keine Krankheiten bekämpft, sondern danach gesucht, was den Körper des Patienten von der Gesundung abhält. Ist diese Ursache gefunden und behoben, dann kann der Organismus meist wieder genesen. 
 
Dabei lautet ein ganz wesentliches Prinzip der Osteopathie, dass der menschliche Körper eine untrennbare Einheit darstellt. Denn oft zeigen sich Beschwerden und Symptome an ganz anderer Stelle als deren Ursachen. Umso wichtiger ist es, diese Zusammenhänge zu kennen, um so den Ursachen auf die Spur zu kommen und diese zu beheben. Nur dann kann der Körper zu seinem Gleichgewicht zurückfinden, das harmonische Zusammenspiel (Homöostase) der betroffen Bereiche wiederherstellen und letztlich wieder gesunden.
 
Aufgrund des zuvor beschriebenen vielschichtigen Zusammenwirken von Lungen, Pleura, Zwerchfell, den umgebenden Faszien und den vielen Haltestrukturen des gesamten Atmungsapparats, werden in der Osteopathie bei Atemwegserkrankungen diese Strukturen immer im Zusammenhang betrachtet und entsprechend behandelt.

Genau das macht den Mehrwert der Osteopathie aus. Die folgenden zwei Beispiele sollen das verdeutlichen.
 
Akute Atemwegserkrankung: Beispiel Pneumonie mit dramatischem Verlauf
Eine dreißigjährige Patientin wurde mit starkem Husten, begleitet von gelblichen Auswurf, Brustschmerzen und allgemeinem Schwächegefühl, Anfang Januar in der osteopathischen Praxis vorstellig. Die Anamnese erbrachte, dass die Patientin bereits seit Mitte Dezember starken Husten und durchgehend subfebrile Temperaturen bis knapp 38 Grad Celsius hatte. Der Brustschmerz trat nach der ersten Woche begleitend zum Husten auf, ebenso wie gelblicher Auswurf. Die Auskultation erbrachte Rasselgeräusche in beiden Lungenflügeln, der Puls lag bei 95 Schlägen pro Minute. Die Palpation erbrachte eine starke Verspannung des Zwerchfells beim Ausatmen, eingeschränkte Beweglichkeit des Brustkorbs beim Einatmen und eine starke Verspannung der gesamten Rücken-, Schulter-, Hals- und Nackenmuskulatur.
 
Aufgrund der Untersuchungsergebnisse empfahl ich der Patientin dringend, schnellstmöglich einen Arzt aufzusuchen, bevor eine osteopathische Behandlung stattfinden könne, da von meiner Seite der Verdacht einer schwerwiegenden Atemwegsinfektion bestand. Der Termin für die ärztliche Untersuchung wurde für den Nachmittag desselben Tages vereinbart.
Vier Wochen später meldete sich die Patientin wieder bei mir. Sie erzählte mir, dass sie noch am selben Tag vom Arzt mit Verdacht auf akute Pneumonie ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Innerhalb von zwei Tagen verschlechterte sich der Zustand durch die akute Lungenentzündung der Patientin so dramatisch, dass die Ärzte in den folgenden drei Wochen um das Leben der Patientin kämpfen mussten.
 
Ein neuer Termin wurde fünf Wochen nach dem ersten Termin vereinbart. Bei diesem Termin stellte sich die Patientin mit einer schwachen Konstitution, Husten mit wenig Auswurf, normalem Puls und normaler Temperatur vor. Die Atmung war deutlich eingeschränkt, das Atemgeräusch bei der Auskultation normal. Die Palpation zeigte auch diesmal dieselben Befunde wie beim ersten Termin. Eine starke Verspannung des Zwerchfells beim Ausatmen, stark eingeschränkte Beweglichkeit des gesamten Brustraumes, starke Verspannung des Schulter-, Hals- und Nackenbereichs. Die Pleura zeigte sich verklebt und in ihrer Gleitbewegung deutlich eingeschränkt. Das Husten war weiterhin schmerzhaft im gesamten Brustraum. Das Atemvolumen lag, laut Untersuchungsergebnis des Pneumologen, bei 60%. Das Lungengewebe war nach röntgenologischer Untersuchung noch nicht vollständig ausgeheilt. Die linke Lunge war deutlich stärker betroffen. Die Patientin wurde zu diesem Zeitpunkt medikamentös mit Antibiotika und Entzündungshemmern behandelt. Nach eigener Aussage war sie kaum in der Lage, kurze Strecken zu laufen oder die Alltagsverrichtung zu bewältigen.
Das deutlich verringerte Atemvolumen, die schmerzhafte Atmung und die starke Verspannung des gesamten Oberkörpers standen im Fokus der ersten Behandlung. Mit osteopathischen Techniken wurden Wirbelsäule und Zwerchfell entspannt, die Pleura mobilisiert, die Beweglichkeit der Rippen verbessert und die Muskulatur im Schulter-, Hals- und Nackenbereich gelöst. Zusätzlich wurden die Lungen und deren Fissuren behandelt und die Patientin erhielt Atem- und Entspannungsübungen zur täglichen Eigenbehandlung. Der Folgetermin wurde für eine Woche später vereinbart.
 
Eine Woche später erschien die Patientin zum zweiten Behandlungstermin in deutlich besserer Verfassung. Das Atemvolumen hatte sich, wie die ärztliche Untersuchung ergab, nach der ersten Behandlung auf 85% verbessert, der Husten war kaum noch schmerzhaft. Der Pneumologe bestätigte der Patientin eine deutlich schnellere Normalisierung der Lungenleistung als in vergleichbaren Fällen. Die Patientin hatte nach eigener Aussage wieder mehr Kraft, fühlte sich insgesamt energetischer und war in der Lage, kurze Spaziergänge und Alltagsaktivitäten ohne Atemnot zu bewältigen.
 
Insgesamt ließ sich die Patientin vier mal behandeln und war nach vier Monaten wieder voll genesen. Die Lunge ist ausgeheilt, das Atemvolumen steht wieder in vollem Umfang zur Verfügung. Die Beweglichkeit der Pleura und des gesamten Brustraums ist wieder hergestellt. Die von ärztlicher Seite ursprünglich vorhergesagte Ausheilzeit hätte sechs bis acht Monate betragen.
 
Dieses Beispiel zeigt, dass eine zeitnahe und zielgerichtete osteopatische Behandlung bei einer akuten Atemwegserkrankung zu einer schnelleren Genesung führen kann. Durch die Lösung von Blockaden und Einschränkungen kann der Körper seine Selbstheilungskräfte besser aktivieren und die zur Verfügung stehende Energie zielgerichteter einsetzen.
 
Chronische Atemwegserkrankung: Beispiel Mukoviszidose
Ein 28-jähriger Patient wurde in der Praxis wegen leichter Schmerzen im mittleren Rückenbereich vorstellig. Der Patient war zu diesem Zeitpunkt in der Endphase seines Zweitstudiums. Das Anamnesegespräch ergab, dass der Patient unter zystischer Fibrose, besser bekannt als Mukoviszidose, leidet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er weder schwere Erkrankungen durchgestanden, noch hatte er Unfälle oder Operationen. Er erhielt die Diagnose im Alter von drei Jahren und ihm wurde eine Lebenserwartung von sechs Jahren vorher gesagt. Das wollten die Eltern nicht hinnehmen und unternahmen alles, um die Lebenserwartung ihres Sohnes zu steigern. Er gab an, täglich Sport zu machen, Herzkreislauftraining, Jogging, Schwimmen, Radfahren. Er sei in regelmäßiger ärztlicher Betreuung, nehme schleimlösende Medikamente und CFTR-Modulatoren für das Gleichgewicht des Salz-Wasser-Haushalts. Hin und wieder sei es notwendig, dass er den Schleim aus den Atemwegen absaugt. Das Abhusten des sich bildenden Schleims ginge ansonsten gut und schmerzfrei. Im Sichtbefund stellte sich der Patient muskulös und sportlich dar. Die Untersuchung erbrachte eine schwache Kyphosierung der Brustwirbelsäule, die Lendenwirbelsäule hatte eine ausgeprägte Lordosierung. Des Weiteren zeigte sich eine auf den oberen Brustbereich beschränkte Einatmung und ein in Ausatmungsstellung stehendes Zwerchfell. Der Brustkorb war in der Einatmung eingeschränkt, die Pleura erlaubte die Einatmungsbewegung nur in ruckelnder, treppenartiger Form. Ein Hinweis auf Verklebungen. Die Einatmungsbewegung erreichte nicht den Bauchraum. Die Bauchspannung war erhöht. Der Patient zeigte eine gute Beweglichkeit, mit den Fingerspitzen kam er in der Vorbeuge bis zum Boden. Die Brustwirbelsäule war in der endgradigen Rotation nach rechts und links leicht eingeschränkt.
 
In der Behandlung mobilisierte ich die Brustwirbelsäule, löste Zwerchfell, Pleura, Schulter-, Hals- und Nackenmuskulatur und entspannte und mobilisierte den Bauchraum. Am Ende der Behandlung empfand der Patient keinen Schmerz mehr in der Brustwirbelsäule, die Atemexkursion war deutlich verbessert und erreichte den Bauchraum. Dem Patienten war es wieder möglich, in den Bauch zu atmen. Der Brustraum war deutlich beweglicher und die Pleura bewegte sich wieder fließend ohne zu ruckeln. Die endgradige Rotation der Brustwirbelsäule stellte sich deutlich verbessert dar. Der Patient gab an, nach der Behandlung spürbar besser Luft zu bekommen. Nun kommt er in regelmäßigen Abständen zur Behandlung, da er sich dadurch leistungsfähiger und besser fühlt.
 
Dieses Beispiel zeigt, wie auch bei einer chronischen Erkrankung eine osteopathische Behandlung, begleitend zur medizinischen Grundversorgung, deren Verlauf positiv beeinflussen und dass Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Patienten steigern kann.
 
Fazit
Eine osteopathische Behandlung wird mit dem Ziel durchgeführt, die Ursachen einer Problematik zu finden und lösen. Sollte die Ursache nicht zu beheben sein, so gilt es, die unterstützenden Strukturen so zu stärken, dass der Körper die chronischen Ursachen besser kompensieren kann. Dabei sollte der Patient immer als Ganzes betrachtet und ganzheitlich behandelt werden. „Die Gesundheit zu finden sollte das Anliegen des Behandlers sein. Krankheit finden kann jeder,“ war das Credo von Andrew Taylor Still, dem Begründer der Osteopathie – und diesem Credo sind die osteopathisch arbeitenden Therapeuten auch heute noch verpflichtet.

Glossar
Als Heilkunde darf Osteopathie in Deutschland nur von Ärzten und Heilpraktikern ausgeübt werden. Eine qualitätsgesicherte Ausbildung in Osteopathie für Nichtärzte dauert berufsbegleitend in der Regel 5 Jahre und umfasst mind. 1350 Unterrichtsstunden.
Die Berufsvereinigung für heilkundlich praktizierte Osteopathie, hpO, vermittelt ausschließlich Therapeuten, die Osteopathie qualitäts- und rechtssicher praktizieren (www.hpo-osteopathie.de).

Sylvia Kleier

praktiziert als Heilpraktikerin in ihrer Praxis für Osteopathie, Schmerztherapie und Stress- und Burnout-Behandlung in Konstanz.

Kontakt: praxis@osteopathie-kleier.de