Mehr Balance im Leben. Gesunde Knie – ein osteopathischer Ansatz

Es lief doch eigentlich alles so gut. Die Operation ist überstanden, der verschlissene Meniskus abgetragen oder die Knie-TEP sitzt perfekt. Auch die Wunde ist geheilt – und trotzdem treten bei einem Ihrer Teilnehmer wieder Schmerzen auf. Möglicherweise entwickelt sich die Muskulatur nicht im gewünschten Maße, die Funktion bleibt beeinträchtigt.
 
Ein Bild, welches vielfach in Rehasporteinrichtungen, Sportvereinen oder auch in Fitnessstudios zu beobachten ist. Trotz größter Initiative der betreuenden Trainer oder Gymnastiklehrer bleibt oft Ratlosigkeit bei allen Beteiligten zurück. In diesem Beitrag erfahren Sie, dargestellt am konkreten Beispiel des Nervus femoralis, wie sich Strukturen des menschlichen Körpers aus osteopathischer Sicht gegenseitig beeinflussen.
 
Angelegt als mittleres Gelenk zwischen Fuß und Becken unterliegt das Knie Einflüssen sowohl von oben wie auch unten. In der komplexen Dualität als stabilisierende und auch bewegende Struktur, ist es auf einwandfreies anatomisches und physiologisches Zusammenspiel aller sich in Kette oder Nachbarschaft befindlichen Strukturen angewiesen.
 
In der Osteopathie sprechen wir bei der Entstehung von Symptomen von Ursache-Folgeketten. Dem Begründer der Osteopathie, Andrew Taylor Still (1828 – 1917), war eine genaue Kenntnis der Anatomie von immenser Bedeutung. Er studierte die Zusammenhänge und zog Rückschlüsse.
 
Hierbei formulierte er vier osteopathische Prinzipien:

  1. Der Körper bildet mit Geist und Seele eine Einheit.
  2. Jeder Körper hat Selbstregulationsmechanismen und damit die Fähigkeit zu Abwehr, Reparatur und die Möglichkeit der Umgestaltung.
  3. Struktur und Funktion bedingen sich gegenseitig.
  4. Auf Grundlage der ersten 3 Prinzipien kann rationale osteopathische Therapie stattfinden.

 
Folgen wir osteopathische Behandler einer anatomischen Spur, denken wir exemplarisch in einer der besagten Ketten: Aus dem großen, aus den Wirbelsäulensegmenten Th 12 – S3 abgehenden Nervengeflecht Plexus lumbosacralis, entspringen auf jeder Seite insgesamt 12 Nerven.
 
Allesamt ziehen sie abwärts und versorgen die Becken-, Bein- und Bauchwandregion. Jede Irritation, zum Beispiel Wirbelblockaden oder Narben in diesen Wirbelsäulensegmenten, wird mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann die Funktion der abgehenden Nerven beeinträchtigen. Dem osteopathischen Grundgedanken folgend, muss man sich weiterhin fragen: Wodurch ist die Störung im Wirbelsäulensegment entstanden?
 
Schnell landen wir bei der Verknüpfung zu den dort ebenfalls nerval verschalteten Bauchorganen, bei zurückliegenden Unfällen, Operationsnarben, bei Frauen, die eine PDA während einer Geburt erhalten haben, oder die oft und lange nachwirkende sehr schmerzhafte Liquorpunktion.
 
Mögliche verursachende Faktoren gibt es unzählige. Eines sollten wir jedoch immer im Hinterkopf behalten: Osteopathie folgt nie einem Schema F. Es gibt immer eine für den jeweiligen Patienten zutreffende Ursache und nach der gilt es, für genau diesen einen Mensch zu suchen. Die wichtigste Eigenschaft, die wir uns als Behandler oder Betreuer dafür kultivieren dürfen, ist die Neugier. Trauen Sie sich ruhig immer und immer wieder neu zu fragen: Warum ist das so? Befragen sie alle zur Verfügung stehenden Quellen, Kollegen, das Internet oder den Osteopathen.
 
Zurück zum oben genannten Nervengeflecht: Einer von den abgehenden Nerven, der Nervus femoralis, verläuft in enger Verbindung mit dem mächtigen Hüftbeuger Musculus Psoas major, welchen er motorisch versorgt, durch die Muskelpforte unter dem Leistenband hindurch zum Oberschenkel.
Er versorgt außerdem und unter anderem die knieumgebenden Muskeln Musculus quadriceps femoris, die das Kniegelenk strecken, sowie den Musculus sartorius, der an der Kniebeugung beteiligt ist.
 
Jede Störung im Wirbelsäulensegment, jede Veränderung der Beckenstellung, sei es durch Muskelverkürzungen nach einer OP, seien es Fehlstellungen oder Fixierungen durch häufige Alltagshaltungen, wie zu viel Sitzen oder einseitige Sportarten, jede Tonusstörung im Psoas, kann diesen Nervus femoralis aufgrund der nachbarschaftlichen Beziehung und diesem Prinzip folgend jede andere hier nicht genannte anatomische Struktur in eine Ungunst bringen.
 
Gemäß dem 2. osteopathischen Prinzip ist der Körper erst einmal selbst um Reparatur der Ungunst bemüht. Vielleicht dreht er ein wenig die Wirbelsäule oder eine Beckenschaufel, um dem Nerv mehr Platz und damit bessere Beweglichkeit zu verschaffen.
 
Gelingt es dem Körper nicht, vollständig zu regulieren, kommt es fortlaufend zu weiteren Kompensationen. Erst wenn die erschöpft sind, entsteht das für unsere Patienten spürbare Symptom: Das Knie schmerzt. Dann hat sich möglicherweise die Beckenschaufel soweit verdreht, dass zwar die Durchtrittsstelle durch die Muskellücke unter dem Leistenband gesichert ist, dafür kommt es aber zu einer Überlastung der hinteren, der Ischiokruralmuskulatur. Das zunächst in der Rehabilitation ganz gut verheilte Knie beginnt plötzlich, vielleicht erst Wochen oder Monate nach der OP, wieder zu schmerzen. Und genau zu diesem Zeitpunkt wird vielen Patienten bewusst, dass es Faktoren geben muss, die das Knie zu einem operationspflichtigen Knie haben werden lassen. Das ist der Wegpunkt der Heilung, wo oft ein tieferes Verständnis für den eigenen Körper, Gesundheit und Krankheit entsteht.
 
Ganz strukturell weitergedacht ist es Ziel der Osteopathie, den Weg des Nervs, aber auch der zu- und abführenden Blut- und Lymphgefäße freizuräumen, um bestmögliche Versorgung der knieumgebenden Strukturen zu gewährleisten.
 
Analog zur Verkettung von oben möchte ich der Vollständigkeit erwähnen, dass, wie eingehend angedeutet, auch eine Störung im Bereich des Fußes, und damit der Spiel- und Standbeinfunktion, weitreichende Folgen für die Funktion eines Kniegelenkes haben kann.
 
Die osteopathische Therapie
Die osteopathische Therapie stützt sich auf folgende Pfeiler:

  • Eine umfassende individuelle eingehende Anamnese, bei der alle möglichen verursachenden Faktoren zusammengetragen werden
  • Eine umfangreiche körperliche Untersuchung, die sich aus einer Funktionsprüfung und speziellen osteopathischen Tests zusammensetzt
  • Das Aufstellen einer Behandlungsthese
  • Die Behandlung mit der Wahl von angemessenen osteopathischen Techniken, ein Hausaufgabenprogramm und Empfehlungen für Training und Freizeitsport

 
Doch Gesundheit und Gesunderhaltung ist nicht allein die Hoheit der Osteopathie. Um Gleichgewicht in Körpersystemen herzustellen braucht es die respektvolle und motivierte Vernetzung aller Fachrichtungen.

Sandra Hintringer

absolvierte nach ihrer Ausbildung zur staatlich geprüften Physiotherapeutin eine berufsbegleitende Weiterbildung zur Osteopathin am Institut für Angewandte Osteopathie Leipzig, die sie 2007, ebenso wie ihre Heilpraktikerprüfung, abschloss. 2014 eröffnete sie ihre eigene Praxis für Osteopathie in Potsdam. Sie ist derzeit als Heilpraktikerin mit Schwerpunkt Osteopathie, Traumatherapie und Yoga tätig. Sandra Hintringer arbeitet außerdem redaktionell in der Berufsvereinigung für heilkundlich praktizierte Osteopathie (hpO) mit. Kontakt: www.osteopathie-hintringer.de | www.hpo-osteopathie.de